Wenn Umweltschützer gegen Klimaretter kämpfen
Windräder zerfetzen jedes Jahr mehr als 10.000 Vögel. Ausgerechnet ein grüner Ministerpräsident muss jetzt entscheiden, was wichtiger sein soll: Die Energiewende oder der Schutz bedrohter Arten.
Es ist ein unauffälliges
Schreiben, nur vier Sätze in Amtsdeutsch mit vielen Paragrafen. Und
doch ist der Antrag des Energieversorgers EnBW ans Regierungspräsidium
Stuttgart nach Meinung von Naturschützern brisant. "Hier kann ein halbes
Jahrhundert Geschichte des deutschen und europäischen
Naturschutzrechtes Makulatur werden", rügt Wolfgang Epple. "Ein
Dammbruch droht", warnt Harry Neumann. "Das ist schon eklatant, was da
passiert", schimpft Fritz Vahrenholt.
Der
Grund für die Empörung der Naturschutz-Aktivisten: Für zwei geplante
Windräder in Adelberg, eine knappe Fahrtstunde östlich von Stuttgart,
hat EnBW eine Ausnahmegenehmigung vom Tötungsverbot für den Rotmilan
beantragt.
Der
landeseigene Energiekonzern plant zwei 230 Meter hohe Windkraftanlagen.
Und in denen könnte ein gefährdeter Greifvogel, der Rote Milan, sterben.
Das gibt sogar EnBW selbst in seinem Antrag zu. Doch das will man in
Kauf nehmen – für die Energiewende und das Geschäft mit der Windkraft.
"Wenn
das Schule macht, ist das der Ausverkauf des Naturschutzes in
Deutschland und des europäischen Artenschutzes zugunsten der
Windindustrie", sagt Harry Neumann, Vorsitzender des Vereins
Naturschutzinitiative. "Klimaschutz und Energiewende sind dabei, den
Naturschutz zu kannibalisieren", sekundiert der Vogelkundler Epple,
langjähriger Geschäftsführer des Naturschutzbundes Baden-Württemberg
(Nabu).
Ein "signifikant erhöhtes Tötungsrisiko"
Die
Lebensläufe von Neumann, Epple und Fritz Vahrenholt könnte
unterschiedlicher nicht sein: Landschaftsfotograf aus Rheinland-Pfalz
der eine, promovierter Biologe der andere, Ex-SPD-Umweltsenator in
Hamburg und früherer Ökostrom-Manager der Dritte. Alle haben einst die
Windkraft positiv gesehen und sie als Waffe im Kampf gegen den
Klimawandel verstanden. Und alle drei sind zu Skeptikern geworden.
Ihre
Kritik: Investoren verlangten immer häufiger einen Freifahrtschein, um
nicht mehr auf die Rechte von Tieren achten zu müssen. Sollte Adelberg
seine Ausnahme bekommen, wäre das Tor offen für eine fatale Entwicklung,
fürchten sie.
Im Antrag an das Regierungspräsidium Stuttgart, der der "Welt am Sonntag" vorliegt,
räumt EnBW selbst ein: Die Windmühlen stünden womöglich in einem
"regelmäßig frequentierten Flugkorridor" von zwei Rotmilan-Brutpaaren.
Ein "signifikant erhöhtes Tötungsrisiko" lasse sich "nicht gänzlich
ausschließen".
Deshalb
soll das Regierungspräsidium für Adelberg das gesetzlich verankerte
Tötungsverbot für den Rotmilan aufheben – weil an diesem Standort das
"öffentliche Interesse" überwiege. Als Argumente fallen Begriffe wie
Arbeitsplatzsicherheit, Netzstabilität und Versorgungslücken durch die
Abschaltung der Atomkraftwerke Philippsburg und Neckarwestheim.
60 Prozent der Vögel leben in Deutschland
Nun galt der Rote Milan bisher stets als K.-o.-Kriterium
für Windkraftprojekte. Der Greifvogel mit seinem rostroten, tief
gegabelten Schwanz ist nicht nur eine streng geschützte Art. Es leben
auch rund 60 Prozent der schätzungsweise 15.000 Brutpaare weltweit in
Deutschland. Laut Umweltministerium befinden sich davon wiederum rund 17
Prozent in Baden-Württemberg.
"Es besteht eine besondere
Verantwortung für die Erhaltung der Art", sagt ein Sprecher des
Ministeriums von Umweltminister Franz Untersteller (Grüne).
Naturschützer fürchten, dass diese Verantwortung immer weniger zählen
könnte, weil der Druck aus Politik und Wirtschaft wächst, die
Energiewende voranzutreiben.
Eine
für viele Tiere existenzielle Frage spitzt sich zu: Lassen sich Arten-
und Klimaschutz miteinander vereinbaren, oder geht das eine auf Kosten
des anderen? Wiegt am Ende die Gefahr der Erd-erwärmung schwerer, wenn
es um den Schutz von Tieren und Pflanzen geht – oder die Gefahr durch
große Windmühlen in Biotopen seltener Arten?
Der Rotmilan hat keine Angst
Bis
2020 sollen in Baden-Württemberg 1200 Windräder stehen, doch davon ist
das Land noch weit entfernt. 510 Anlagen sind in Betrieb, weitere 310 in
der Genehmigung. Je mehr Rotoren sich drehen und je knapper die Flächen
werden, desto schärfer werden die Konflikte. So wetterte der Tübinger
Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) schon vor Jahren gegen ein
"faktisches Windkraftverbot im Land", das mit dem Artenschutz begründet
werde.
Der grüne
Ministerpräsident Winfried Kretschmann appellierte an die Behörden,
"Spielräume" zugunsten der Windkraft auszunutzen. Andre Baumann, bis vor
Kurzem Landeschef des Naturschutzbunds (Nabu) Baden-Württemberg und
neuerdings Umwelt-Staatssekretär, betont: Der Bau neuer Windräder und
der Naturschutz stünden nicht im Widerspruch.
Für
den Rotmilan selbst lässt sich dieser Widerspruch nicht so leicht
ausräumen. Das liegt nicht nur an der Bedrohung seiner Art, sondern auch
an seinem Wesen: Er gehört zu den wenigen Tierarten, die sich durch
Windenergieanlagen nicht vergrämen lassen.
Foto: dpa/dpa-ZB |
Wenn der Greifvogel mit
seiner majestätischen Spannweite von bis zu 170 Zentimetern über Feldern
nach Mäusen, Ratten oder Maulwürfen Ausschau hält, ängstigen ihn die
teils 300 Stundenkilometer schnellen Rotorblätter nicht. Im Gegenteil.
In den gemähten und gerodeten Flächen rund um die Stahltürme erspähen
Rotmilane besonders häufig Beute.
Umweltschützer fürchten Nachahmer-Effekt
Nun
ist es nicht so, dass EnBW auf den Vogelschutz überhaupt keine
Rücksicht nehmen wollte. Tatsächlich haben die Planer auch aus
Tierschutzgründen die Anzahl der Windkraftanlagen in diesem Gebiet
bereits reduziert, von ursprünglich neun auf nur noch zwei hohe Räder.
Zudem will der Konzern den produzierten Windstrom mit unterirdischen
Kabeln abtransportieren, um zu verhindern, dass die Vögel an
Freileitungen zu Schaden kommen.
Was Naturschützer wie Fritz
Vahrenholt von der Deutschen Wildtier Stiftung bei diesem
vergleichsweise kleinen Projekt aber besorgt, ist die Nachahmer-Gefahr.
Wenn in Adelberg gelten sollte, dass Windkraftanlagen stets im
"überwiegenden Interesse der Öffentlichkeit" stehen und somit "zwingend"
zu genehmigen seien, dann könne sich der nächste Projektierer ein paar
Kilometer weiter auf denselben Grundsatz berufen.
Ein
Sprecher des Umweltministeriums weist das zurück: Es gebe kein
"öffentliches Interesse", das per se zwingend höher eingeschätzt werden
müsse als der Artenschutz. Jede Genehmigung werde als Einzelfall
geprüft.
Doch
Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat stets klargemacht, dass in
seinem Land an einem breiten Ausbau der Windkraft kein Weg vorbeiführt –
weil es das Gemeinwohl gebiete. "Wer eine unverstellte Landschaft als
höchsten Wert hat, dem kann ich nicht helfen", polterte er. Die Anlagen
müssten nun mal in die Landschaft gebaut werden. "Wir können sie ja
nicht in den Keller stellen."
Population sinkt rapide in Windkraft-Ländern
Die
Windkraftbranche hat im Frühjahr eine Untersuchung des Schweizer
Ingenieurbüros "KohleNusbaumer" präsentiert, die den Konflikt zwischen
Rotmilan und Windkraft zum "Scheinproblem" ernannte. Die Befunde der
staatlichen Vogelschutzwarten in Deutschland seien irreführend,
tatsächliche vergrößere sich die Population des Rotmilans trotz des
Windkraftausbaus.
Der Nabu unterzog der Schweizer Unbedenklichkeitserklärung allerdings einem "Faktencheck"
– mit haarsträubender Bilanz. "Hier werden selektiv ausgewählte Fakten
aus nicht vergleichbaren Quellen in irreführender Weise vermengt",
erklärte der Bundesverband. So habe der Autor beispielsweise "einen
deutschlandweit leicht zurückgehenden Rotmilanbestand in einen
dramatischen Bestandsanstieg umgedeutet."
Fakt
sei, so Nabu-Vogelschutzexperte Lars Lachmann, dass die
Rotmilan-Population überall dort stabil oder sogar wachsend sei, wo es
noch keine Windkraftanlagen gebe, so etwa in Baden-Württemberg. In
Windkraft-Ländern wie Niedersachsen, Brandenburg oder Sachsen-Anhalt
hingegen nehme die Population tatsächlich rapide ab.
Kein Klimaschutz auf Kosten des Vogelschutzes
Bestätigt
wurde die Nabu-Sicht im Juni durch die sogenannte Progress-Studie der
Universität Bielefeld und mehrere Öko-Institute, die im Auftrag des
Bundeswirtschaftsministeriums die Zahl der Kollisionsopfer genau
belegte. Bei den meisten Vogelarten gibt die Studie Entwarnung, für
Mäusebussard und Rotmilan weisen die Ergebnisse allerdings darauf hin,
"dass durch den derzeitigen Ausbauzustand bereits Kollisionsraten
auftreten, die zu einem Bestandsrückgang führen können".
Neben
den geschätzt 1000 getöteten Rotmilanen pro Jahr müssen wohl zwischen
10.000 und 12.000 tote Mäusebussarde der Windindustrie zugeschrieben
werden – was selbst Ornithologen überraschte.
Dass
laut Progress-Studie sogar bei dem in Deutschland häufig vorkommenden
Mäusebussard eine Bestandsgefährdung zu erwarten ist, bedeutet neuen
Ärger für die Branche. Denn der Vogel ist so weitflächig verteilt, dass
Mindestabstände zu Windkraftanlagen, so gering sie auch immer angesetzt
sein mögen, wohl zu einem völligen Stopp des Windkraftausbaus führen
würden.
Am Ende hat
womöglich Lars Lachmann recht. Der Ornithologe hält nichts davon,
Klimaschutz auf Kosten des Vogelschutzes voranzutreiben. "Sonst sind
schon kurzfristig die Vögel nicht mehr da, die wir langfristig vor dem
Klimawandel überhaupt schützen wollten."
Ich erinnere an die Einwendungen zum FNP Febr.- April 2015 an die Stadt Lichtenau!
AntwortenLöschenDie Auswirkungen der FNP-Anderung auf Natur und Landschaft sowie auf Vorkommen von
windenergtesensiblen Tierarten wie z.B. den Schwarzstorch, den Rotmilan oder Fledermäuse wurden im
Rahmen des Umweltberichtes und des Artenschutzrechtlichen Fachbeitrags zum FNP erfasst, bewertet und
berücksichtigt. Dabei wurden auch Naturschutzgebiete, FFH-Gebiete oder Rastgebiete für ZugvÖgel wie z. B.
Kiebitz und Kranich rund um Grundsteinheim berücksichtigt. Der Kranich gehört jedoch nicht zu den
windenergiesensiblen Vogelarten, da er Windparks erkennt und meidet, d.h. umfliegt. Die Bereiche, in denen
ein höheres artenschutzrechtliches Konfliktpotenzial für bestimmte windenergiesensible Arten besteht, wurden dargestellt. Sie werden auf der Ebene des immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens einer
artenschutzrechtlichen Prüfung der Stufe 2 unterzogen. Sofern dann tatsächlich windenergiesensible Arten (u.a. kollisionsempfindliche Arten wie z. B. Schwarzstorch, Rotmilan oder Fledermäuse sowie lärmempfindliche Arten wie z. B. Wachtel) vom Betrieb einzelner Anlagen betroffen sind, ist durch die Festlegung von vorgezogenen Ausgleichsmaßnahmen (CEF-Maßnahmen) in Verbindung mit Vermeidungsmaßnahmen (2. B. Abschaltzeiten)dafür Sorge zu tragen, dass artenschutzrechtliche Verbotstatbestände nicht berührt werden.
lnsofern werden konkrete Abschaltzeiten erst auf der Genehmigungsebene für einzelne Anlagen festgelegt. Die
Abstandskriterien von der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten (LAG-VSW) wurden bei der
Bewertung der artenschutzrechtlichen Konfliktpotenziale berücksichtigt. Sie stellen jedoch lediglich eine
Empfehlung dar und sind gemäß Urteil des OVG NW v.01.07.2013 -2D 46/'12.NE und Leitfaden des MKULNV
& LANUV NRW 2013, Umsetzung des Arten- und Habitatschutzes bei der Planung und Genehmigung von
Windenergieanlagen in Nordrhein-Westfalen (Fassung vom 12.11.2013) kein Ausschlusskriterium für die
Ausweisung von Windvorrangzonen auf FNP-Ebene
Beschlussvorschlag:
"Die Bedenken sind > unbegründet < und werden zurückgewiesen!"
Demnach war doch bereits vor der Errichtung der besagten WKA klar, dass besondere Ausgleichsmaßnahmen( Abschaltzeiten) anfallen würden,sobald artengeschützte Vögel in der Nähe der WKA auf Futtersuche sind bzw. Brutpflege betreiben.
LöschenDie Abschaltzeiten sollten die profitgierigen Investoren also in ihren betriebswirtschaftlichen Berechnungen bzw Risikoberechnungen mit berücksichtigt haben. Die Abschaltzeiten sind nichts anderes als "status quo". Nun aber mit Unverhätlnismäßigkeit zu argumentieren, wenn die WKA wegen des Schwarzstorches oder des Roten Milans abgeschaltet werden, ist nichts anderes als billige Polemik: oh mein Gott, die Energiewende könnte nun wegen Vogel scheitern! Schwachsinn ist das!!!
Naturschutz und Prävention haben immer höheren Wert als Profitgier und egozentrische Ziele.
Naturschutz, Gesundheitsschutz sind wichtiger als klingende Kassen oder ausgeglichende Haushaltspläne.
Eine Ausnahmegenehmigung vom Tötungsverbot für den Rotmilan zu beantragen, ist für den WKA-Betreiber EnBW schon eine bemerkenswerte Vorgehensweise. So etwas hätte ich mir auch von den Betreibern der Hassel-WKA´ s gewünscht.
AntwortenLöschenAndererseits erwarte ich nun von VW die Beantragung einer Ausnahmegenehmigung vom Tötungsverbot von mehr als 10.000 unschuldiger Menschen / Jahr auf Grund manipulierter Abgasreinigungsanlagen.
Oder verstehe ich da etwas falsch ?
Es wird Zeit das Heine Zitat in diesem Kontext in Erinnerung zu rufen:
AntwortenLöschen"Wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen".
Alles schon zu lange her, kommt nie wieder?
Sorry, der Windwahnsinn beginnt ähnliche Züge anzunehmen, wenn man bewusst
Arten regelrecht der Ausrottung preisgibt.
Welche Art ist die Nächste?
Sind Sie sicher, dass Sie noch klar denken können? An dieser Stelle solche Vergleiche zu ziehen ist äußerst befremdlich. Vielleicht denken Sie einmal darüber nach, ob Sie sich nicht ein wenig verrant haben. Ein bisschen mehr Sachlichkeit würde nicht nur Ihrem, sondern auch vielen anderen Kommentaren an dieser Stelle gut tun.
LöschenSind sie sicher, dass sie sachlich bleiben? Oder kann man den ersten Teil Ihrer Kommentierung auch als Beleidigung verstehen? Was bedeutet das Synonym "Signifikant erhöhtes Tötungsrisiko" denn anders, als das Rotmilan und andere Arten bewusst verdrängt und ausgerottet werden, bei dem geplanten Ausbau der Windenergie?
AntwortenLöschenEin bisschen mehr Analyse der Energiewirtschaft und der Beschäftigung mit der Politik, sprich zum Entstehen des Schwenks nach Fukushima zur nicht marktkonformen Energiewende, der gängigen Praxis bei der Genehmigung von Windkraftanlagen, etc. würde Ihnen sicher helfen den Entdemokratisierungsprozess der derzeit stattfindet, besser zu verstehen.
Wehret den Anfängen war noch nie eine schlechter Ratgeber, von daher kann das Zitat als Mahnung stehen bleiben.
Oder etwa glauben Sie, der Mensch hätte das Recht als "Krone der Schöpfung" andere Arten auszurotten? Was fehlt ist Sensibilisierung für die Wirkung von technischen Innovationen.
Die Energiewende hat leider einen schlechten Ruf bekommen, weil nur extrem subventionierte Großprojekte protegiert werden, andere effizientere Systeme z.B. der Wärmemarkt bisweilen sehr unterbelichtet betrachtet werden, da die Renditen mager sind.
Stellen sie sich doch bitte mal vor, dass ganze Baugebiete zentral im Winterhalbjahr per Kraftwärmekopplung und im Sommerhalbjahr über PV und Speicher mit Energie versorgt werden. Das hat den großen Vorteil, dass keine Großspeicher nötig werden und das Arten, Naturraum, Menschen, etc. nicht gefährdet werden.
Die Energiewende in der jetzigen Form ist kein Stück zu Ende gedacht, genau das steht im obigen Zitat. Bücher verbrennen bedeutet gegen Bildung, Wissen und Forschung zu sein, Arten bewusst töten bedeutet Hemmschwellen herunter zu setzen......
Meinen Sie immer noch, dass nur sie klar denken können?