ProLichtenau möchte auch auf eine halbstündige Fernsehsendung zu dem unten aufgeführten Thema
hinweisen:
Der Kampf um die Windräder – Die Auswüchse der
Boombranche „Exclusiv im Ersten“ am 1. August 2016, 21:45 Uhr in Das Erste /
Eine Recherche von „Report Mainz“ (35 Minuten)
Mehr in der Programmvorschau beim Ersten (mit
Video-Clip):
Sturm auf die Windräder
Nach Jahren
des Chaos versucht die Bundesregierung, der Energiewende einen Plan zu
verpassen. Aber dort, wo der größte Rückhalt nötig wäre, wächst der heftigste
Widerstand: Auf dem Land werden Kommunen entmündigt, die Bürgerbeteiligung
erweist sich als Farce
Volker
Tschischke ist gerade von einer längeren Dienstreise zurück, als die Revolution
sein Wohnzimmer erreicht. Irgendetwas ist anders, hat er eben noch gedacht. Nun
steht Tschischke am Fenster, sieht über den Dachgiebeln der Nachbarhäuser zwei
riesige Windräder und ist einen Moment lang unsicher, ob die neu sind oder er
sie bisher bloß nicht bemerkt hat.
Später fällt
ihm auf, dass abends in der Küche die wuchtigen Schatten von Windradflügeln
über die Wand wischen. Und nach einiger Zeit bemerkt er, dass er bei Ostwind
nachts unruhig ist und kaum noch in den Schlaf findet. Auch die Nachbarn sagen,
sie hätten oft Ohren- und Kopfschmerzen. Sie machen dafür den Schalldruck der
Windkraftanlagen verantwortlich.
Tschischke,
49 Jahre alt, ist Manager einer Technologiefirma. Er glaubt daran, dass Technik
den Menschen hilft, ihr Leben besser zu machen. Als die Bundeskanzlerin vor
fünf Jahren ankündigte, dass Deutschland aus der Atomenergie
aussteigen werde, fand er das richtig. Er hielt es für gut, Strom aus Sonne und
Wind zu gewinnen. Er sieht es im Grunde noch immer so, er hat selbst eine
Solaranlage auf dem Dach. Aber es gibt doch einen Unterschied. Die Energiewende
ist für ihn eine feine Sache, "solange die Windräder von den
Wohnsiedlungen wegbleiben".
Das aber tun
sie nicht mehr. Etteln, sein Dorf, ist inzwischen umzingelt von Windrädern. Sie
haben Tschischke in den Widerstand getrieben. Er hat eine Bürgerinitiative
gegründet. Was ihn besonders aufregt: Viele Lokalpolitiker und Behörden, die
doch eigentlich im Interesse der Bürger entscheiden sollen, scheinen für die
Windkraftfirmen den roten Teppich auszurollen und Leuten wie ihm, um deren
Alltag es geht, gar nicht mehr zuzuhören.
Die
Energiewende spaltet das Land. In den Metropolen und größeren Städten genießt
der Umbau der Stromversorgung große Sympathien. Auf der anderen Seite stehen
Menschen, die vor allem an der Küste der Nord- und Ostsee leben, im Vorland des Harzes, in Rheinland-Pfalz,
Bayern oder Baden-Württemberg. Sie erfahren die Energiewende nicht mehr als
notwendiges nationales Projekt, sondern als zerstörerische Kraft. Sie sehen
zunehmend verärgert zu, wie sie entmündigt werden. Wie von ihnen gewählte
Politiker in den Stadträten und Kreistagen mit Ökoinvestoren und Landbesitzern
gemeinsame Sache machen. Wie Regeln außer Kraft gesetzt werden, einfach so. Und
wie auch Gerichte zugunsten der Windkraftfirmen urteilen.
Die Folge
ist, dass der Widerstand wächst und die AfD auch deshalb in einigen Landtagen
sitzt, weil sie sich im Wahlkampf klar gegen die Energiewende gestellt hat. Die
Bundesregierung hat ihren Anteil daran. Sie nannte die Energiewende zwar ein
Jahrhundertprojekt, doch man konnte lange Zeit den Eindruck haben, dass jede
Dorfkirmes besser organisiert ist. Der Staat schüttete mit dem Füllhorn
Fördergelder aus und hielt sich ansonsten weitestgehend heraus. Die Kosten
uferten aus, es gab keinen übergeordneten Plan, keine klaren Regeln.
Nun versucht
die große Koalition in Berlin, diesen Fehler noch irgendwie zu korrigieren. Der
Bundeswirtschaftsminister will plötzlich den Ausbau der Windkraft drosseln und
auch die Förderung für den Windstrom. Und die Bundesumweltministerin hat gerade
ein "Kompetenzzentrum" eingerichtet und mit vier Millionen Euro
Jahresbudget ausgestattet. Sie will damit "Konflikte der Energiewende
entschärfen".
Wenn man
verstehen will, wie alles kam und wie verfahren die Lage vielerorts schon ist,
dann muss man nur in den Kreis Paderborn fahren. Dort sind die Probleme der
Energiewende wie unter einem Brennglas zu beobachten.
Da ist der
Manager Tschischke, der jetzt in Widerstand macht.
Da ist sein
Nachbar Oliver Dietz, ein Projektentwickler. Er war nach einigen Jahren in
Stuttgart in seine Heimat zurückgekehrt, auch wegen der Natur. Jetzt erwägt er,
wieder wegzuziehen. "Hier wird ein Lebensraum auf Generationen ruiniert
und zerstört", sagt er.
Und da sind
Männer wie Hubertus Nolte. Nolte, ein Landwirt, knorrig und mit Haaren wie
Drahtwolle, war mal Chef der CDU-Fraktion im Stadtrat von Bad Wünnenberg. Heute
steht er der "Gemeinschaft Naturschutz" vor. Um zu zeigen, um was es
geht, fährt er mit Besuchern gern hinauf auf die Höhenstraße des Sintfeldes.
Wenn er dort oben steht, dehnt sich die Paderborner Hochfläche bis zum
Horizont. Er blickt auf mindestens 600 Windräder. Sie reichen bis zu den
Höhenzügen des Teutoburger Waldes, sie kriechen jetzt bis auf wenige Hundert
Meter an Bauernhöfe und Dörfer heran. Die Gegend ist, unbemerkt vom Rest des
Landes, zu einem der Zentren der deutschen Windindustrie geworden. Denn hier
herrschen Windverhältnisse wie sonst nur an der Nordseeküste.
Nolte deutet
mit dem Finger auf das östliche Sintfeld, auf Kräne. Dort werden gerade 28 neue
Anlagen gebaut, 89 weitere sollen noch dazukommen. Am Ende werden auf einem
Flecken von 50 Quadratkilometern demnächst 130 Windkraftanlagen stehen, das
könnte deutscher Rekord sein. "Alle gucken immer nach Nordfriesland",
sagt Nolte. "Aber der Punk geht eigentlich hier ab." Das gilt längst auch
für die Art, wie Befürworter und Gegner der Energiewende einander bearbeiten.
Im Stadtrat, vor Gericht oder auf einer der vielen Informationsveranstaltungen.
Reiner
Allerdissen hat an diesem sonnigen Junimorgen besonders schlechte Laune. Er ist
Bürgermeister der Gemeinde Borchen, zu der auch Tschischkes Dorf Etteln gehört,
und muss einen "Erörterungstermin" für ein neues Windparkprojekt in
seiner Gemeinde besuchen.
Allerdissen
sitzt dort unter rund 60 Bürgern. Auf einem Podium haben mehrere Mitarbeiter
der Kreisverwaltung Platz genommen, daneben der Windkraft-Projektierer mit
seinen Anwälten und Gutachtern. Sie sind etwa 20.
Die
Veranstaltung hat kaum begonnen, da droht der Windkraft-Unternehmer bereits
eine Klage gegen die Gemeinde und damit die Entmachtung des Bürgermeisters an.
Allerdissen
hat so etwas schon erwartet. Er ruft zum Podium hinüber, was er oft gesagt hat
in letzter Zeit. Seine Gemeinde habe genug für die Energiewende getan. Er wolle
keine Windkraftanlagen mehr. Die 42, die es schon gibt, produzierten weit mehr
Strom als vor Ort gebraucht werde. "Wenn alle Gemeinden so große Flächen
zur Verfügung gestellt hätten wie Borchen, hätten wir die Energiewende längst
geschafft!", ruft Allerdissen und erntet Applaus. "Die Gemeinde
stellt auf den bloßen Zuruf von Investoren nicht sofort einen neuen
Flächennutzungsplan auf."
Allerdissen
ahnt, dass das Recht jetzt noch auf seiner Seite ist, ihm das womöglich aber
bald nicht mehr viel nutzen wird. Denn er hat es hier mit Johannes Lackmann zu
tun, einem Ökostrom-Pionier, der mit allen Wassern gewaschen ist. Lackmann war
mal Präsident des Bundesverbandes Erneuerbare Energien in Berlin, heute ist er
Geschäftsführer der WestfalenWind GmbH. Seine Firma ist auf der Paderborner
Hochfläche so etwas wie der Marktführer. Und die verfassungsrechtlich
garantierte Planungshoheit der Kommunen ist nichts, wodurch sich einer wie
Lackmann so einfach stoppen ließe. Er hat den Bau weiterer 17 Anlagen in der
Gemeinde Borchen beantragt. Er will sie außerhalb der genehmigten
Windkraft-Konzentrationszonen aufstellen lassen. Das heißt: Sie sollen näher an
die Wohngebäude heranrücken und natürlich auch höher werden, als die Gemeinde
es erlaubt. Lackmann plant, als würde ein Flächennutzungsplan überhaupt nicht
existieren.
"Warum
machen Sie das? Warum missachten Sie die Gemeindeplanung?", fragt
Tschischke.
"Gier,
die reine Gier", zischt jemand.
Lackmann
lächelt. Hatte der Kreis Paderborn nicht das Ziel formuliert, sich bis 2020 selbst
mit Energie zu versorgen? Dafür reichten halt die einst festgelegten Flächen
nicht mehr. Inzwischen, Lackmann klingt noch freundlich, gebe es ja neue
Energiewendeziele und neue Technologien. Sein Bauantrag gebe der Gemeinde
"die Gelegenheit, ihre Planungen anzupassen".
Doch wenn
die Gemeinde das nicht wolle, sagt Lackmann, dann ziehe er eben vor Gericht.
Allerdissen
weiß, was das bedeutet. Es ist gut möglich, dass er verliert. Und dann gilt nur
noch ein Gesetz: Paragraf 35 Baugesetzbuch. Darin steht, Windkraftprojekte
müssten bevorzugt behandelt werden. Und das heißt, dass Lackmann egal sein
kann, was Bürgermeister Allerdissen will und was die Flächennutzungspläne
vorsehen. Denn wenn Paragraf 35 ins Spiel kommt, ist nicht mehr Allerdissen
zuständig, sondern die Kreisverwaltung in Paderborn. Und die ist nach dem
Windkraftprivileg des Baugesetzbuches verpflichtet, Lackmanns Bauwünsche
praktisch ohne Abstriche zu genehmigen.
Die
kommunale Selbstverwaltung ist eines der ersten Opfer der deutschen Energiewende.
Denn es findet ein ungleicher Kampf statt. Auf der einen Seite stehen die
Bürgermeister der Gemeinden mit vielleicht einer Handvoll Mitarbeiter. Auf der
anderen Seite stehen konzernähnliche Unternehmen, die Stäbe von Anwälten
beschäftigen. Sie haben es nicht sonderlich schwer, den Kommunen irgendwelche
formalen Irrtümer oder Abwägungsfehler nachzuweisen.
Das deutsche
Baurecht ist ein Dickicht aus Vorschriften, Verordnungen, Paragrafen, nur das
Steuerrecht ist ähnlich kompliziert. Eine kleine Schlamperei, eine unbedachte
oder unsaubere Formulierung – und schon ist die Planung mehrerer Jahre futsch.
Bürgermeister Allerdissen muss nur in die Nachbargemeinde schauen.
In Büren
haben die Stadtplaner einen folgenschweren Fehler gemacht. Sie haben die
Vorrangflächen für Windkraft im Stadtgebiet nur Pi mal Daumen ausgewiesen. Mal
haben sie Lage und Umfang der Windkraftzonen mit den strengen
Immissionsschutzregeln eingehegt, mal gönnten sie den Anwohnern einen nur vage
festgelegten Abstand bis zur nächsten Windkraftanlage. Das
Oberverwaltungsgericht Münster kassierte die Pläne deshalb. Der
Flächennutzungsplan der Gemeinde, so befanden die Richter, dürfe nicht zur
"Verhinderungsplanung" gegen die Windkraft missbraucht werden.
Seither können die Windkraftfirmen in Büren nach Belieben drauflosbauen. Die
Gemeinde hat nichts mehr zu sagen. Und der Bürgermeister weiß nun nicht mehr,
wie er seine Stadt entwickeln soll. Neue Wohngebiete? Kaum machbar, sagt ein
Sprecher der Stadt. Ein Ortsteil im Süden der Stadt, eigentlich perfekt, sei
wegen der dort sofort hingestellten Windparks nicht mehr zu gebrauchen. Eine
andere Ecke, "potenziell hervorragendes Gebiet für eine
Wohnbebauung", sei durch Windräder praktisch halbiert worden.
Das Bürener
Urteil ist einer der Gründe, warum bundesweit viele Kommunen und Landkreise den
Windfirmen üppig Flächen zuweisen, in vorauseilendem Gehorsam. Sie wollen sich
bloß keine Klage einhandeln. Denn auch ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
besagt, dass kommunale Planung der Windkraft "substanziell Raum" zu
geben habe. Was das genau bedeutet, ist eine Frage der Auslegung. Aber
Bürgermeister Allerdissen hat schon oft erlebt, dass sich die Windbarone mit
ihrer Sicht der Dinge vor Behörden und Gerichten durchsetzen.
Das beginnt
schon damit, dass die Windkraftinvestoren alle Gutachten selbst finanzieren.
Das heißt, sie bestimmen mit, was als Lärmbelästigung, was als
Landschaftsbeeinträchtigung gilt und welche Vogelarten womöglich von einem
Windpark bedroht wären. Das erklärt, warum mancher Vogelgutachter angeblich nie
die bedrohten Rotmilane oder Schwarzstörche gesehen hat, an denen sich die
Anwohner eben noch Tag für Tag erfreut haben. Der Rechtsanwalt Rudolf
Wansleben, ein ehemaliger Landrat des Kreises, sieht darin eines der großen
Probleme. "Die Windkraftbetreiber haben alle Gutachter unter
Vertrag." Jeder, der etwas genauer hingucken und etwa größere
Mindestabstände einfordern würde, wäre bald arbeitslos, glaubt Wansleben. Er
selbst habe einmal versucht, einen Gegengutachter zu finden, um die Angaben
eines Windkraftinvestors zu überprüfen. Vergeblich.
So kam es,
dass Borchens Nachbarstadt Bad Wünnenberg mit nur 12.000 Einwohnern den
Windunternehmern Grundstücke mit insgesamt 15,7 Millionen Quadratmetern zu
Bebauung überließ. Auf einer Fläche, die 2207 Fußballfeldern entspricht, lässt
der kleine Kneipp- und Luftkurort nun die Windindustrie gewähren. Doch die
Investoren ziehen inzwischen selbst gegen diesen Flächennutzungsplan vor
Gericht. Sie wollen noch mehr Windenergieanlagen im Stadtgebiet.
Übermacht.
Unersättlichkeit. Versprechen, die nicht eingetreten sind. All das erklärt,
warum im ganzen Land der Widerstand gegen die Energiewende anschwillt.
Die
Unternehmen werben gern damit, dass ihre Windparks den Gemeinden schöne
Steuereinnahmen bescheren. Viele Kommunalpolitiker wollen es nur zu gern
glauben. Doch oft kommt das Geld nicht, das sie sich erträumt hatten. Denn die
Firmen schreiben ihre Windparks in den ersten acht bis zehn Jahren steuerlich
ab, sodass kaum Geld an die Gemeindekasse fließt. Zudem werden Windparks längst
wie Kapitalgüter gehandelt. Viele örtliche Projektierer bauen ganze Windparks
und verkaufen sie an Großanleger weiter, Versicherungen oder Rentenfonds etwa.
Die Gewerbesteuer wird also in München oder Frankfurt fällig, wo die Eigentümer ihren Sitz
haben – vor Ort bleibt so nichts mehr hängen.
Das
Gewerbesteuerversprechen sei eine "große Mär", sagt Bürgermeister
Allerdissen. Bei ihm haben die 40 Windkraftanlagen im vergangenen Jahr 123.175
Euro zum Gemeindehaushalt von insgesamt 4,2 Millionen Euro beigetragen, sagt
er. "Das steht in keinem Verhältnis zu dem, was die hier in der Landschaft
anrichten."
Lackmanns
Firma WestfalenWind wirft ihm "eine gewisse Unehrlichkeit" vor. In
der Gemeinde Borchen stünden relativ alte, kleine Windmühlen, sagt ein
Sprecher. Da gebe es noch einen Gewerbesteuerfreibetrag, deshalb komme
vergleichsweise wenig Geld in der Gemeindekasse an. Er könnte ebenso gut sagen:
Wer größere Windräder zulässt, kriegt eben auch mehr Steuern. Der Bürgermeister
Allerdissen solle doch "gemeinsam mit den Investoren den
Flächennutzungsplan anpassen", sagt der Sprecher.
Allerdissen
aber denkt nicht daran. "Es gehört nicht zu meinem Amtseid, den
Profitinteressen einiger weniger zu dienen", sagt er.
Es sieht so
aus, als stünden sich zwei Seiten unversöhnlich gegenüber. Allerdissen will
keine Windräder mehr. Und Lackmanns Firma hat so ihre Methoden, wenn es darum
geht, Kritiker zu bearbeiten. Zum Beispiel finanziert WestfalenWind eine
Internetseite namens windkraftsatire.de, auf der Kritiker verhöhnt werden.
"Skandal: Windräder jetzt auch verantwortlich für kalte Füße und
Muffensausen." Menschen, die sich um den Wert ihrer Häuser Sorgen machen,
sind dort wahlweise "Querulanten" oder
"Energiewende-Blockierer", die auf "aberwitzige" Weise
versuchten, "den Erfolg der umweltfreundlichen Windenergie aufzuhalten".
So oder so
ähnlich sehen sie in ganz Deutschland aus, die zahllosen Scharmützel und
Fehden, die um Windkraftprojekte entbrannt sind.
Im
saarländischen Piesbach bei Dillingen zerstörten Unbekannte gerade erst eine
Windmessanlage. Der Energiekonzern EnBW wollte damit ein Windparkprojekt vorbereiten.
Schaden: 160.000 Euro.
Im
nordhessischen Bad Hersfeld verstellten Landwirte die Zufahrt mit Treckern, als
die Bagger des Windkraftinvestors anrückten, um im nahen Staatswald Flächen zu
roden. Die Bauverzögerung droht für den Investor inzwischen zum Millionengrab
zu werden. Die betroffene Gemeinde Friedewald feiert sich als "kleines
gallisches Dorf". Es kam den Bürgern und selbst Biobauern seltsam vor,
dass das Land Hessen mal eben staatlichen Wald an Windkraftunternehmer
verpachtet und dafür etwa 45.000 Euro pro Jahr und Windrad einstreicht. Das
Erneuerbare-Energien-Gesetz und die Ökostrom-Umlage waren schließlich so
angelegt, dass die Verbraucher die Milliarden für die Energiewende direkt
zahlen, mit ihrer Stromrechnung nämlich. Dass ein Teil des Geldes als Pacht an
den Staat fließt, der damit seinen Haushalt saniert, war nicht der Sinn.
Und im
deutschen Nordwesten wirkt es manchmal sogar, als sei eine weitgehend
rechtsfreie Zone entstanden. Kommunale Flächennutzungspläne, wie sie
Bürgermeister Allerdissen in Borchen erstellen lässt, gibt es dort kaum noch.
Regionale Raumordnungs- und Landschaftsrahmenpläne werden von der Politik seit
Jahren vertagt. Bürgerinitiativen wie "Wattenrat" oder
"Weitblick Ostfriesland" glauben, dass die Politik vor der Macht des
deutschen Windkraft-Marktführers Enercon kapituliert hat. Enercon, eigentlich
Windradhersteller und einer der größten Arbeitgeber der Region, hat sich mit 40
Prozent am neu gegründeten Stadtwerk Aurich beteiligt.Der Landkreis Aurich
beteiligt sich selbst finanziell an Windpark-Projekten. Für den Investor ist
das überaus praktisch. Er ist damit praktisch Geldgeber, Prüfer und
Genehmigungsbehörde in einem.
Das Gesetz
schließt eigentlich aus, dass Kommunen Steuergelder einsetzen, um in der
Privatwirtschaft Geld zu machen. Es gibt allerdings Ausnahmen. Und von denen
machen die Kommunen ausgiebig Gebrauch.
Nach der
niedersächsischen Kommunalverfassung dürfen Gemeinden nur dann wirtschaftlich
tätig werden, wenn ein "öffentlicher Zweck" dies rechtfertigt und das
Unternehmen nach Art und Umfang "in einem angemessenen Verhältnis"
zum Bedarf steht. Kommunen wie der Landkreis Aurich erklären ihre
Windstrom-Unternehmungen zwar gern damit, dass sie für die Stromversorgung
ihrer Bevölkerung zuständig seien. Doch erstens bleibt der Strom gar nicht in
der Gegend – er wird über eine Börse europaweit gehandelt. Und zweitens
produzieren die Anbieter in vielen Gegenden schon jetzt um ein Vielfaches mehr,
als für die lokale Versorgung nötig wäre. Die Frage ist also, was an diesen
Geschäften noch öffentlicher Zweck ist und was ein angemessenes Verhältnis?
Der
Innenminister Niedersachsens legt seine Kommunalverfassung so aus, dass Kreise
und Gemeinden weitgehend selbst entscheiden dürften, was "öffentlicher
Zweck" ihrer Investments sei. Der Bund der Steuerzahler kritisiert das scharf: Es sei
"unverständlich", warum er "die fadenscheinige Argumentation des
Landkreises widerspruchslos hinnimmt".
So oder so
ist das Ergebnis, dass im Landkreis Aurich mit seinen 190.000 Einwohnern
inzwischen 900 Windräder stehen, fast doppelt so viele wie in ganz
Baden-Württemberg.
All diese
Fälle erklären, warum sich auf dem Land der Widerstand organisiert und
juristisch aufrüstet. In Niedersachsen haben sich gerade mehr als hundert
Bürgerinitiativen zusammengeschlossen, mehr als 10.000 Windkraftgegner. Sie
verlangen von der Landesregierung Mitsprache. In Mecklenburg-Vorpommern hat
sich die erste Partei gegründet, die ein einziges Ziel verfolgt: Gegen
Windkraft opponieren. Damit tritt sie bei den Landtagswahlen an. Ihre
Protagonisten glauben, dass das Management der Energiewende symptomatisch für
die Arroganz politischer Eliten ist. In den Parlamenten begegne man nur
"Bevormundung, Ignoranz, Selbstgerechtigkeit", schimpfen die
Parteigründer. So verliere die Politik die Bevölkerung, ganze Regionen seien
abgekoppelt.
Es ist nicht
immer ganz klar, wo es sich noch um Protest gegen die Fehlentwicklungen der
Energiewende handelt und wo schon um generelle Staatsverachtung. Allerdings
sitzen die, die inzwischen so ihre Probleme mit der Ökorevolution haben, längst
auch in den Büros von Abgeordneten und Ministern, die die Energiewende
grundsätzlich gutheißen.
Gero Hocker,
Anfang 40, sportlich, das schwarze Haar sauber gescheitelt, ist Abgeordneter
der FDP im niedersächsischen Landtag. Er sorgte dafür, dass sich der
Umweltausschuss kürzlich nach Aurich aufmachte, um die Folgen der Energiewende
in der Region einmal in Augenschein zu nehmen. Die Umweltpolitiker aller großen
Parteien, so berichtete es die "Nordwest-Zeitung" hinterher,
reagierten "geschockt auf den Windradwald in Ostfriesland".
Für immer
mehr Windenergie, sagt Hocker, werde vielerorts in Deutschland Recht gebeugt
oder umgangen. "Gewählte Volksvertreter nutzen ihr Mandat, um
Windkraftprojekten zuzustimmen, an denen sie wiederum selbst beteiligt sind.
Umweltverträglichkeitsprüfungen werden nicht angefertigt, obwohl die
Landesregierung das für erforderlich hält." Das alles, schimpft Hocker,
"findet nicht in einem ,failed state' oder irgendeiner Bananenrepublik
statt, sondern im Nordwesten von Niedersachsen, wo wir eigentlich davon ausgegangen
sind, dass Rechtstaatlichkeit und Gewaltenteilung funktionieren." Das sind
markige Worte, die allerdings in der Praxis nicht so ohne Weiteres zu belegen
sind.
Hocker hat
darüber hinaus eine Menge Fragen, auf die er bisher keine überzeugende Antworten
bekommen hat. Wofür produziert Deutschland all den wetterabhängigen
Flatterstrom, wenn es doch nicht genügend Leitungen gibt, ihn dorthin zu
bringen, wo er gebraucht wird, und keine Speicher, um ihn einzulagern? Heute
gibt es schon 26.000 Windkraftanlagen im dicht besiedelten Deutschland. Wie
viele werden es noch, wenn der gesamte Verkehr und alle Heizsysteme mit
Ökostrom betrieben werden sollen? 50.000? 80.000? Und wird dadurch auch nur
eine einzige Tonne Kohlendioxid vermieden? Denn das europäische Handelssystem
für Emissionsrechte bewirkt, dass jede CO2-Einsparung in Deutschland dazu
führt, dass ein Nachbarland dafür mehr ausstößt.
Es sind
Fragen, die große Wucht entfaltet haben, sie nähren den Protest. Das zeigt
Wirkung. Die Bundesregierung hat jetzt das Ökostromgesetz EEG reformiert, um
die Kosten zu verringern und die Stromproduktion wieder mit dem Leitungsnetz in
Einklang zu bringen. Sie hat außerdem entschieden, in norddeutschen
Bundesländern "Netzengpass-Regionen" auszuweisen, in denen die Windkraft
übergangsweise nur gebremst ausgebaut werden darf. Schleswig-Holsteins
Umweltminister Robert Habeck, ein Grüner, will es in seinem Land plötzlich
etwas langsamer angehen lassen mit dem Ausbau der Windenergie. Noch vor ein
paar Monaten konnte ihm der Umbau Deutschlands zum Ökostromland nicht schnell
genug gehen. "Die Unruhe im Land" ist der Grund, sagt er jetzt. Man
könne ja nicht "jedes Windrad mit Polizeihundertschaften schützen".
Doch wenn
die Koalition in Berlin ihr großes Ziel, das Gelingen der Energiewende, nicht
aus dem Blick verlieren will, bedeutet die Drosselung im Norden, dass dafür
eben im Süden der Republik mehr Windparks entstehen müssen. Und es gibt längst
erste Beispiele, die zeigen, was das bedeutet.
Singen am
Hohentwiel, kurz vor Konstanz am Bodensee. Die Grenze zur Schweiz ist nah,
das Panorama der Berge. Und wenn Markus Bihler in den blauen Sommerhimmel
blickt, kreist dort meist irgendwo eine Gabelweihe, so nennen sie den Rotmilan
in dieser Gegend. Windräder sind in der weiten, sanft hügeligen Landschaft der
Hegau nirgendwo zu sehen. Bihler will, dass das auch so bleibt.
Bihler ist
eigentlich Unternehmer, mit Kaffeeautomaten zu einigem Wohlstand gekommen.
Inzwischen aber hat er manchmal das Gefühl, dass er hauptberuflich Unsinn
verhindert. Denn er ist auch Vorsitzender einer örtlichen Bürgerinitiative, und
die liegt mit einem halben Dutzend Stadtwerke über Kreuz. Die Stadtwerke wollen
die ersten Windräder in die Region bauen.
"Ein
Skandal", findet Bihler. Es gibt kaum einen Ort in Deutschland, an dem
weniger Wind weht. Baden-Württemberg ist das windschwächste aller Bundesländer
und die Hegau gehört zu den windschwächsten Standorten in Baden-Württemberg.
Trotzdem verspricht ein Projektierer den Stadtwerken, auf dem Rücken des
Kirnberg und bei Verenafohren genug Wind ernten zu können. Sein Name: Bene
Müller, seine Firma: die Solarcomplex GmbH.
Eine neue Turbinen-Generation
mit extralangen Rotorblättern mache es möglich, sagt Müller. Angeblich können
die modernen Windräder noch das laueste Lüftchen in Elektrizität umwandeln.
Bihler
vermutet eher, dass Müllers Firma die beteiligten Stadtwerke, Kommunen und Banken
mit unseriösen Berechnungen an der Nase herumführt. Die Firma hat die Messungen
selbst erstellt, die ihnen das Geschäft sichern sollen. Seine Version der
Geschichte geht so: Müllers Firma hat zwar Windstärken gemessen, aber nicht
dort, wo sie den Windpark bauen will, sondern einige Kilometer entfernt, wo die
Bedingungen günstiger sind. Sie hat die Windströmungen gemessen, aber nicht
lang genug. Zudem werbe Solarcomplex damit, dass ein "TÜV-Gutachten"
die Profitabilität der Standorte belege. Dabei handele es sich in Wirklichkeit
nur um ein eher schlecht abgesichertes Prognosepapier, sagt Bihler. Er fürchtet
nur eines: Wenn die Windräder erst einmal stehen, hat der Projektierer
Solarcomplex seinen Schnitt gemacht. Die Firma ist dann weg, und die Gemeinden
bleiben auf unprofitablen Windrädern sitzen – und die Bürger mit dem Blick auf
riesige rotierende Industriebauten.
Solarcomplex-Chef
Bene Müller sieht das alles natürlich ganz anders. Er weist Bühlers Vorwürfe
zurück. Inzwischen lässt er ihm und seiner Bürgerinitiative bestimmte
Behauptungen sogar gerichtlich untersagen. Bihlers Bürgerinitiative prüft
ihrerseits, juristisch gegen Müllers Firma vorzugehen.
Und das ist
es, was sie am Ende eint, Bürger, Politiker, Windunternehmer und Richter,
Gegner und Befürworter. Es ist das, was Volker Tschischke mit dem Bürgermeister
Reiner Allerdissen verbindet und auch mit den Unternehmern Johannes Lackmann
und Bene Müller. Die Energiewende beschäftigt sie, manchmal mehr, als sie
ertragen können. Sie alle sagen, sie wollten das Beste für das Land. Die einen
haben viel zu verlieren, die anderen viel zu gewinnen. Aber sie sprechen längst
mehr übereinander als miteinander. Die Fronten sind verhärtet. Sieg oder
Niederlage, etwas anderes scheint es nicht mehr zu geben.